André Franzmann

E

    nergiekrise, Inflation, Fachkräftemangel, Deindustrialisierung …
    nur einige der Schlagwörter, die uns in den letzten Monaten nicht nur die Laune
    verderben, sondern erstmals seit über 30 Jahren auch die Handelsbilanz.

Laut Daten des Statistischen Bundesamtes wies Deutschland im Mai 2022 mit knapp 1 Mrd. Euro. das erste Negativsaldo seit 1991 aus, d.h. es wurden wertmäßig mehr Waren eingeführt als ausgeführt. Betrachtet man die Zahlen im Detail, zeigen sich Verschiebungen vor allem bei denjenigen Ländern außerhalb der EU, aus denen Deutschland Energie bezieht. Innerhalb der Europäischen Union zeigt sich die Bilanz deutlich positiver.

Ein Besserung der Situation scheint kaum in Sicht, wenn man sich die Ursachen dieser Entwicklung anschaut, vorneweg die stark steigenden Energiepreise. Jahrzehntelang hat Deutschland von den günstigen Gasimporten Russlands profitiert – ein Vorteil, der sich jetzt ins Gegenteil umkehrt.

Nüchtern betrachtet muss man feststellen, dass die Entwicklung der letzten Wochen wohl nur einen ersten Vorgeschmack auf das gibt, was uns in den nächsten Jahren noch bevorsteht. Das Gas aus Russland fließt derzeit nicht mehr (Stand 15.09.) und selbst eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen würde wohl kaum verhindern können, dass Deutschland und andere Länder in eine tiefe Rezession stürzen, denn diese scheint auch ohne dieses Horrorszenario kaum mehr vermeidbar. 

Inzwischen rechnen immer mehr Experten und führende Wirtschaftsinstitute mit einer länger anhaltenden Rezession – so z.B. das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (- 1,4%) und das Kieler Institut für Weltwirtschaft (-0,7%). 

Bereits im zweiten Quartal zeigte sich eine Stagnation der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. Das langjährige Zugpferd der EU liegt damit hinter Ländern wie Spanien (+1,1 Prozent) und Italien (+1,0 Prozent) zurück. Für die beiden Winterquartale gehen die meisten Experten daher von einer technischen Rezession aus, bei der die Wirtschaft in mindestens zwei Folgequartalen schrumpft. 

Schaut man sich die Ursachen an, so ist das bereits beschriebene Energieproblem nicht der einzige Umstand, der für eine Rezession spricht.

Ein schwacher Euro hat dem Exportweltmeister Deutschland in der Vergangenheit des öfteren geholfen, den Absatz ins Ausland kräftig anzukurbeln. Obwohl wir seit über zwei Jahrzehnten erstmals wieder eine Euro-Dollar-Parität sehen, hilft uns dieser Umstand diesmal kaum. Durch steigende Bezugskosten von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen und mangelnde Verfügbarkeit z.B. von Vorprodukten aus China, das in der Corona-Dauerschleife zu verharren scheint, steigen auch die Preise der in Deutschland gefertigten Produkte. Mit einem Plus von 45,8 Prozent sind z.B. die Erzeugerpreise im August stärker gestiegen als jemals zuvor in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Größtes Problem bleiben dabei die Energiekosten, die eine wirtschaftliche Produktion in vielen Bereichen nicht mehr möglich machen. Inzwischen liegen die Bezugskosten für Strom, Gas und andere Energieträger um ein vielfaches gegenüber denen anderer Länder. Die Wettbewerbsfähigkeit ist in vielen Bereichen nicht mehr gegeben, alleine  gegenüber den U.S.A., die kaum durch Preiserhöhungen im Energiesektor betroffen sind, liegen die Energiekosten um den Faktor acht bis zwölf höher. Seit einigen Wochen macht der Begriff der „Deindustrialisierung Deutschlands“ die Runde, d.h. es droht eine weitreichende Produktionsverlagerung ins Ausland sowie die Aufgabe ganzer Industriezweige begleitet durch eine stark steigende Anzahl von Insolvenzen.

Die durch die gesamte Gemengelage befeuerte Inflation begründet Forderungen nach signifikanten Lohnsteigerungen, die ersten Gewerkschaften fordern bereits Lohn- und Gehaltserhöhungen von bis zu zehn Prozent. Schon im Juli preschte Verdi mit Forderungen von 9,5 Prozent für das Lufthansa-Bodenpersonal vor. Die von Politik und Wirtschaft gefürchtete Lohn-Preis-Spirale wird immer wahrscheinlicher, die internationale Wettbewerbsfähigkeit gerät in Gefahr. Auch wenn andere Länder gleiche oder ähnliche Probleme haben – die Exportnation Deutschland ist besonders hart betroffen.

Als würde all dies noch nicht reichen, sehen wir einen immer bedrohlicher werdenden Fachkräftemangel, der im Wettbewerb der Unternehmen um Arbeitskräfte für weitere Kostensteigerungen sorgt. Der niedrige Euro hilft uns diesmal also nur bedingt beim Export, die absoluten Preise steigen überproportional.

Auch wirtschaftliche Probleme und der wachsende Protektionismus von Ländern wie den U.S.A. und China mit dem Ziel, die Binnennachfrage zu steigern und eine größere Unabhängigkeit von anderen Ländern zu erreichen, trifft Deutschland mitten ins Mark. Gerade für das stark exportabhängige Deutschland ist diese Entwicklung tragisch. Auf der einen Seite eine schwächelnde Nachfrage, auf der anderen Seite eine hohe Abhängigkeit von Lieferungen anderer Länder, die das rohstoffarme Deutschland wie kein anderes Land benötigt … ein Desaster für unsere Volkswirtschaft, die den Export zu ihrem Geschäftsmodell gemacht hat wie kaum eine andere Nation. 

Nicht nur auf den Weltmärkten, sondern auch in Deutschland selbst ist ein Rückgang der Nachfrage sichtbar. So ist z.B. der Einzelhandelsumsatz im Monat Juni im Vergleich zum Vorjahr um 8,8 Prozent gefallen – das größte Minus seit Beginn der Erhebung im Jahr 1994. Die Binnennachfrage scheidet als Rettungsanker wie zu erwarten also aus. 

Weitere Sorgen bereitet die eingeleitete Zinswende, die zwar alternativlos erscheint, um die Inflation in den Griff zu bekommen, die aber andererseits die hoch verschuldeten Länder im Süden der Eurozone und damit die gesamte EU zurück in Richtung Euro-Krise katapultiert. Vor dem Hintergrund der heutigen Probleme und der gestiegenen Verschuldung ist die Eurokrise 2009 im Vergleich wohl eher ein kleinerer Stresstest gewesen. 

Schon ohne die neu hinzugekommenen Probleme fällt Deutschland bereits jetzt im internationalen Vergleich in vielen Disziplinen immer weiter zurück. Sei es durch mangelnde Digitalisierung, eine für ein Industrieland unwürdige Verkehrsinfrastruktur, vergleichsweise hohe Steuern oder die Tatsache, dass wir zwar in vielen Bereichen Weltmarktführer haben, aber gerade bei Zukunftstechnologien kaum bedeutsame Unternehmen vorweisen können.

Gleichzeitig leisten wir uns einen beispiellosen Sozialstaat und laufen offenen Auges in ein Rentenfinanzierungsproblem, das seit Jahrzehnten bekannt ist, aber von keiner Regierung konsequent angegangen wurde. 

Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage muss man leider eher pessimistisch in die Zukunft schauen. Die meisten Prognosen zeigen ein düsteres Szenario mit Wohlstandsverlusten auf breiter Front.

Vielleicht helfen uns ja einmal mehr die deutschen Tugenden, allen voran Fleiß, Gewissenhaftigkeit, Zielstrebigkeit und Zuverlässigkeit, um uns dem drohenden Abwärtstrend zu entziehen. Ob „Made in Germany“ oder „Bye Bye Germany“ – das wird die Zukunft zeigen.

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