Nie wird er müde. Jeden Tag ruft er neue Preise aus. Manchmal ist er depressiv. Dann verschleudert er Aktien. Und manchmal gibt es sie nur zu manischen Phantasiepreisen her. Diese Stimmungsschwankungen bieten immer wieder Chancen: Sie müssen nur warten, bis Mr. Market wieder einmal ein Tief hat und dann zuschlagen. Das ist das Prinzip des Value Investing.
Mr. Market hat massive Stimmungsschwankungen
In der Theorie scheint Value Investing einfach. Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht und einige Qualitätsunternehmen identifiziert – zum Beispiel mit Hilfe der von mir entwickelten Königsanalyse. Sie wissen, in welche Unternehmen Sie investieren wollen. Und wenn diese günstig zu haben sind, kaufen Sie. In der Praxis ist es allerdings schwer. Warren Buffett, der bekannteste Value-Investor aller Zeiten, drückte es wie folgt aus: „Value Investing is simple but not easy.“ Zum einen sind die Stimmungsschwankungen von Mr. Market massiv. Und es ist sehr schwer, sich nicht von ihnen mitreißen zu lassen. Zum anderen müssen Sie wissen, was die Aktie, die sie kaufen wollen, wirklich wert ist. Und das kann sich vom aktuellen Kurswert erheblich unterscheiden. Denn der Aktienkurs ist nur der situative Preis, den der launische Mr. Market festsetzt. Dieser Kurs kann, muss aber nichts über den tatsächlichen Wert einer Aktie aussagen. Mr. Market neigt dazu, mit der Bewertung zu übertreiben – und genauso zu untertreiben. Nach dem Platzen der Technologieblase im Jahr 2000 brachen die Aktienmärkte weltweit ein. Der DAX verlor zum Beispiel im Laufe von zwei Jahren 75 Prozent. Mit anderen Worten: Er musste um 300 Prozent steigen, um wieder alte Höchststände zu erreichen. Das gelang dann sechs Jahre später im Jahr 2008, kurz vor der Finanzkrise. In der Finanzkrise brach der deutsche Leitindex dann um rund 50 Prozent ein, erreichte die alten Höchststände aber schon vier Jahre später wieder, 2013. Dennoch: Letztlich dauerte es vom Höchstwert zu Zeiten der Technologieblase bis zum dauerhaften Erreichen eines neuen Hochs insgesamt dreizehn Jahre.
Märkte werden von Emotionen getrieben
Die moderne Volkswirtschaftslehre, wie sie von Adam Smith begründet wurde – auch „klassische“ oder „neoliberale Ökonomie“ genannt – geht vom Bild des rationalen Menschen aus. Dieser Mensch ist ein kühler, rationaler Rechner und stets darauf bedacht, seinen ökonomischen Nutzen zu maximieren. Prinzipiell ist der Neoliberalismus geeignet, wenn es darum geht, die Effizienz von ökonomischen Prozessen zu erklären. Nach dieser Theorie dürfte es irrationale Marktschwankungen nicht geben. Mr. Market wäre also ein kühler Rechner, der sich von Stimmungsschwankungen
nicht beeindrucken lässt.
Auf die Börse übertragen heißt diese Sichtweise „Markteffizienzhypothese“. Die meisten Ökonomen würden der Aussage zustimmen, dass die Börsen effizient sind, also alle Informationen oder verfügbaren Informationen im Preis der Wertpapiere abgebildet werden. Sie würden das unter anderem damit begründen, dass Börsen nahezu perfekte Märkte sind. Informationen verbreiten sich in Windeseile. Wertpapiere können in Sekundenbruchteilen gehandelt werden. Alles zunehmend automatisch. Wenn also ein Markt effizient ist, dann doch sicher die Börse! Alle beteiligten Wirtschaftssubjekte treffen ihre rationalen Entscheidungen. Diese führen dann insgesamt zu einem transparenten und angemessenen Ergebnis.
Und dennoch schwankt die Börse massiv. Sie ist manischdepressiv. Es gibt Zeiten, da verfallen gerade an der Börse viele Menschen plötzlich dem systematischen Wahnsinn oder zumindest der Irrationalität. Man nennt solche Entwicklungen „Blasen“ (für die manische Phase) oder „Crashs“ (für die depressive Phase. Wie bei uns Menschen folgen sie oft aufeinander. Das war zum Beispiel in Holland beim Tulpenwahn von 1634 bis 1637 der Fall, in der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1938 oder während des Technologiebooms von 1995 bis 2000.
Langfristige Anlagestrategie statt schriller Marktmoden
Irrationales Verhalten der Mehrheit kann für den Einzelnen eben doch rational sein. Nicht wenige Geschäftsleute sind in Zeiten der New Economy zu viel Geld gekommen, weil sieUnternehmen, die eigentlich nicht funktionieren konnten, mit astronomischen Bewertungen an der Börse platzierten. Wie bei einem Kettenbrief oder Strukturvertrieb werden auch in einer Börsenblase nur die Letzten von den Hunden gebissen. Jeder hofft natürlich, dass er nicht zu diesen gehört. Beim Investieren in Aktien zählt der Einstiegszeitpunkt. Wer Mr. Market in einer manischen Phase erwischt, muss Verluste lange aussitzen. Wer in einer depressiven Phase einsteigt, kann langfristig mit hohen Gewinnen rechnen. Dies gelingt nur mit Qualitätsaktien. Das sind Unternehmen, die trotz Krise im Geschäft bleiben und sogar wachsen. Für den Einstieg am Markt hat die akute Stimmung also nur eine bedingte Aussagekraft. Der innere Wert eines Unternehmens muss stimmen, um langfristig und erfolgreich zu investieren.
Über den Autor
Prof. Dr. Max Otte studierte Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre und politische Wissenschaften in Köln und Washington, D.C. und promovierte in Princeton. Im Jahr 2016 gründete er die PI Privatinvestor Kapitalanlage GmbH mit Sitz in Köln. Das Unternehmen betreut drei Publikumsfonds und zudem mehrere geschlossene Privatmandate von institutionellen Investoren. Unternehmen, an denen Max Otte beteiligt ist, betreuen insgesamt 2,5 Milliarden Euro an Kundengeldern. Sein neuestes Buch „Endlich mit Aktien Geld verdienen!“ wird im Herbst 2022 beim FinanzBuch Verlag erscheinen. Er ist zudem Herausgeber des Kapitalanlagebriefes „Der Privatinvestor“