André Franzmann

S

    chon seit Monaten spüren
    wir zumindest die Inflation
    und das in fast allen

Lebensbereichen – ob an der Tankstelle, im Supermarkt oder auf Rechnungen, die uns ins Haus flattern. Gegenüber dem Vorjahr haben sich die Preise auf breiter Front erhöht – alleine im Mai 2022 um knapp acht Prozent gegenüber dem Vorjahr – das zumindest ist der Wert für Deutschland. Ähnlich sieht es auch in anderen europäischen Ländern und in den USA aus.

Uneinigkeit gibt es bei den Ökonomen darüber, ob die Inflation fortschreiten oder zum Stillstand gelangen wird. Nur wenige Experten rechnen derzeit mit einem Rückgang.

Während der Begriff der „Inflation“ schon länger die Schlagzeilen beherrscht, hört man in den letzten Wochen immer mehr auch den Begriff der „Stagflation“ als neu beschriebene Gefahr am Horizont. Was ist eine Stagflation, welche Faktoren sind dafür verantwortlich und müssen wir fürchten, dass uns das Szenario der Stagflation über die nächsten Jahre begleiten wird?

Die Stagflation beschreibt einen Zustand, bei dem sich zur Inflation die wirtschaftliche Stagnation gesellt, d.h. bei steigenden Preisen stagniert die Wirtschaftsleistung oder geht gar zurück.

In der weiteren Folge kommt es in der Regel auch zu negativen Auswirkungen auf Anlageklassen wie Immobilien, Aktien und Anleihen, die an Wert verlieren.

Auslöser einer Stagflation sind meist Angebotsschocks, bei dem einer oder mehrere Produktionsfaktoren nicht oder nur in geringerem Maße zur Verfügung stehen, so z.B. das Öl in der Ölkrise der 70er-Jahre. Die OPEC (Organisation erdölexportierender Länder) beschloss damals aus politischen Gründen, die Fördermengen deutlich herunterzufahren, so dass sich innerhalb kürzester Zeit der Marktpreis mehr als verdoppelte und eine schwere Wirtschaftskrise die Folge war.

In der Hauptsache sehen wir heute zwei Faktoren, die uns geraden Weges in die Stagflation führen, zum einen die Corona-Pandemie, zum anderen den Ukraine-Krieg. 

Mehrfach schon glaubte man die Corona-Pandemie überwunden, aber die Folgen gestörter weltweiter Lieferketten halten an. Insbesondere China scheint mit seiner Null-Covid-Strategie gescheitert, durch immer neue Lockdowns stauen sich die Schiffe und stapeln sich die Waren an den Verladekränen der chinesischen Häfen auf immer neue Rekordhöhen. Weltweit fehlen wichtige Vorprodukte, so dass Unternehmen nicht in gewünschtem Maße produzieren können. 

Die Nachfrage übersteigt das Angebot also deutlich, was zu steigenden Preisen führt. Maßnahmen der Politik können hier keine Abhilfe schaffen. Vielmehr sind die Unternehmen gefragt, alternative Beschaffungswege zu finden, was nicht immer möglich ist. 

Die zweite Ursache ist der Ukrainekrieg, der zu massiv steigenden Energiekosten führt und damit die Produktionskosten deutlich erhöht. Auch hier ist der Staat nur begrenzt in der Lage zu helfen, denn auch Subventionen können nur zeitweise einen Teil abfedern und müssen später durch Steuererhöhungen oder andere Maßnahmen wieder eingespielt werden. 

Um abschätzen zu können, ob uns eine Stagflation droht und ob diese vielleicht langfristiger Natur ist, empfiehlt sich ein Blick auf die einzelnen Ursachen und Problemfelder. Je unwahrscheinlicher eine kurzfristige Problemlösung der einzelnen Punkte erscheint, desto größer die Gefahr einer längerfristigen Stagflation.

Steigende Energiepreise

Die Unabhängigkeit von russischem Öl und Gas, das Deutschland in der Vergangenheit vergleichsweise günstig beziehen konnte und das seinen Anteil am Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre hatte, muss teuer erkauft werden. Neben einer sehr aufwändigen Logistik-Infrastruktur, z.B. für Flüssiggas-Terminals und Investitionen in neue Energien dürften auch die höheren Bezugspreise neuer Energielieferanten dazu führen, dass wir langfristig von deutlich steigenden Energiepreisen ausgehen müssen.

Probleme bei Materialbeschaffung 

Ob durch den Ukrainekrieg, der zu ausbleibenden Lieferungen aus Russland und der Ukraine führt, die zu deutlich höheren Kosten substituiert werden müssen oder fehlendes Material durch Produktionsunterbrechungen in China … es gelangt immer mehr Sand ins Getriebe der deutschen Produktion.

Gestörte Logistikketten 

Durch immer wiederkehrende Corona-Lockdowns vor allem in den chinesischen Häfen, sind die weltweiten Lieferketten empfindlich gestört. Niemand kann sagen, wann die nächste Virusvariante oder die nächste Welle durchs Land schwappt und die Logistik erneut lahmlegt. Eine Abkehr von der Zero-Covid-Strategie der chinesischen Regierung ist derzeit nicht erkennbar. 

Geringere Nachfrage aus anderen Ländern 

Die zunehmende Protektion und Abschottung von Ländern wie den U.S.A. und China gefährden die Wirtschaft des Exportweltmeisters Deutschland in einem noch nicht absehbaren Maße. Mit 1.375 Mrd. Euro und einer Exportquote von 70 Prozent ist Deutschland wie kein anderes Land abhängig von der Nachfrage seiner wichtigsten Handelspartner. So waren die USA im Jahr 2021 mit 122 Mrd. Euro der wichtigste Abnehmer deutscher Produkte, gefolgt von China mit 103 Mrd. Euro. Russland steht mit 27 Mrd. Euro immerhin auf Platz 14 der Handelspartner Deutschlands. 

Lohnsteigerungen 

Die starke Inflation sorgt dafür, dass Arbeitnehmer und Gewerkschaften in den nächsten Lohn- und Gehaltsrunden signifikante Erhöhungen fordern werden. Dadurch wird sich der Produktionsfaktor Mensch verteuern, was wiederum höhere Preise zur Folge haben wird. Erschwerend kommt hinzu, dass Produktivitätssteigerungen weitgehend ausgereizt zu sein scheinen. Es besteht die Gefahr der gefürchteten Lohn-Preis-Spirale.

Demografie 

Seit 1972 ist die Sterberate in Deutschland höher als die Geburtenrate. Gleichzeitig steigen Auswanderungszahlen und Lebenserwartung. Trotz zunehmender Immigration droht uns ein Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials. Gleichzeitig gibt es immer mehr Menschen im Rentenalter, die ihren Ruhestand genießen möchten und Güter und Dienstleistungen nachfragen. 

Corona 

Schließlich ist derzeit auch noch nicht absehbar welche Folgen weitere Mutationen und Coronawellen auf die Weltwirtschaft haben werden, die Zusammenhänge wurden bereits weiter oben beschrieben. 

Betrachtet man all diese Faktoren im Zusammenspiel, ergibt sich eine Gemengelage, die den Blick in die Zukunft eher düster erscheinen lässt. Es scheint wahrscheinlich, dass uns die Inflation noch sehr lange begleiten wird und auch die Gefahr einer jahrelangen Stagflation besteht. 

Doch es gibt auch Lichtblicke: Positiv könnten sich eine Beruhigung der Coronalage und des Ukraine-Konflikts auswirken, ebenso der Effekt durch steigende Zinsen, wodurch der Konsum geschwächt würde, so dass die Nachfrage zurückgehen und der Preisanstieg gestoppt würde. Allerdings könnte das auch die Investitionsbereitschaft der Unternehmen und die Produktivität senken. Ebenfalls ein positives Signal ist darin zu sehen, dass die Arbeitsmarktsituation nicht mit derjenigen z.B. in der Ölkrise vergleichbar ist, die Arbeitslosenquote ist niedrig, der Fachkräftemangel hoch. Die Folgen für den Arbeitsmarkt könnten also geringer sein als bei einer Stagflation anzunehmen.

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