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Prof. Dr. Dr. hc Lothar Abicht
C
- harakteristisch für die zweite industrielle Revolution um 1900
- (Industrie 2.0) war der Beginn der Massenproduktion
- auf Basis der Elektrifizierung. In den 1970er Jahren folgte
als dritte industrielle Revolution die Automatisierung durch Computertechnologien (Industrie 3.0). Gegenwärtig befinden wir uns in der vierten Revolution, charakterisiert durch eine umfassende Digitalisierung (Industrie 4.0). Angesichts deren enormer Veränderungspotenziale prägen Industrie 4.0 und Digitalisierung die aktuelle wissenschaftliche, wirtschaftliche und politische Diskussion gerade in einem Land wie Deutschland mit den bekannten Rückständen auf diesem Gebiet.
Fragt man nach der nächsten Phase der industriellen Revolution (Industrie 5.0), werden oft der Einsatz von Künstlicher Intelligenz oder cyberphysischen Systemen und das Internet der Dinge (IoT) genannt. Dabei finden zwei Tatsachen noch zu wenig Beachtung. Einerseits stößt das revolutionäre Potenzial der Digitalisierung an ernstzunehmende Grenzen. Diese betreffen z.B. unzureichende Wirkungen bei der Erhöhung der Arbeitsproduktivität, das Fehlen neuer echter Disruptionen (Ausnahme Quantencomputer) in den letzten Jahren oder auch die Annäherung an physikalische Grenzen der Halbleitertechnologien. Es scheint so, als ob die vierte industrielle Revolution an Schwung verliert und in die „Mühen der Ebene“ eintritt. Die Digitalisierung entwickelt sich zunehmend evolutionär. Digitale Technologien werden wie seit der zweiten Industriellen Revolution die Elektrizität überall verfügbar. Ein Leben ohne digitale Technologien ist undenkbar, ihr Zusammenbrechen würde die gesamte Industriegesellschaft lähmen. Was aber fehlt sind wirkliche neue revolutionäre Sprünge der Technologie. Daran werden nach gegenwärtigem Wissen auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz oder von Quantencomputern nichts Grundlegendes ändern.
Die zweite oft unterschätzte Tatsache ist eine Verschiebung der Handlungsschwerpunkte für die Wirtschaft und die ganze Gesellschaft als Reaktion auf den extrem bedrohlichen Klimawandel. Dieser wird durch menschliche Aktivitäten seit Beginn der 1. Industriellen Revolution hervorgerufen. Klimaschädliche Gase, insbesondere CO2, führten zu einem deutlichen Anstieg der weltweiten Temperaturen um mehr als ein Grad in der historisch kurzen Zeit von 200 Jahren. Werden die Emissionen nicht massiv gebremst, geht der Temperaturanstieg weiter und führt zu negativen Folgen, die kaum zu überschätzen sind. Schon jetzt zu beobachtende Phänomene wie der Anstieg des Meeresspiegels, Stürme, Hitzeperioden, Dürren und Starkregen könnten soweit führen, dass im 22. Jahrhundert Teile des Planeten unbewohnbar werden. Vor dem Hintergrund einer Zunahme der Erdbevölkerung auf dann etwa 10 Milliarden Menschen eine erschreckende Vorstellung.
Notwendig ist eine schnelle und durchgreifende Reduzierung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase. Er lässt sich auf verschiedenen Wegen begrenzen. Die wichtigsten Wege sind eine komplette Umstellung unserer Lebensweise und der komplette Umbau unserer technologischen Basis. Im Kern des Umbaus der technologischen Basis geht es darum, den Ausstoß klimaschädlicher Gase absolut herunterzufahren bis hin zu negativen Emissionen (Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre und Speicherung in der Erde). Möglich ist das nur durch einen radikalen Umbau der gesamten technologischen Basis von der Energieerzeugung über den Verkehr, die chemische Produktion, das Bauwesen bis hin zum Bau von Maschinen und Anlagen und das Heizen von Gebäuden.
Dieser Umbau ist das Wesen der fünften technologischen Revolution und erfordert in vielen Fällen, z. T. über Jahrhunderte entstandene technologische Paradigmen zu überwinden. Die fünfte industrielle Revolution findet vorzugsweise in der Welt der Atome und nicht in der Welt der Bits und Bytes statt! Im Unterschied zu den vor ihr ablaufenden industriellen Revolutionen steht nicht eine einzelne technologische Veränderung wie Mechanisierung, Elektrifizierung oder Digitalisierung im Zentrum. Vielmehr ist das Anliegen, alle Technologien so zu verändern, dass sie einem gemeinsamen Ziel – der Dekarbonisierung – genügen. An die Stelle von Technologien, die fossile Energiequellen bzw. Rohstoffe nutzen und den in Erdöl, Erdgas oder Kohle gespeicherten Kohlenstoff nach Verbrennung als CO2 in die Atmosphäre blasen, müssen Alternativen treten. Das betrifft alle Wirtschaftszweige.
In Deutschland verteilt sich die Freisetzung klimaschädlicher Gase, gemessen in Kohlendioxid-Äquivalenten, wie folgt. Etwa 8,5 Prozent werden durch die Landwirtschaft, 19,8 durch den Verkehr, 16,3 durch Gebäude, 24,1 durch die Industrie und 29,9 Prozent durch die Energiewirtschaft freigesetzt. Um Klimaneutralität zu erreichen, sollen bis 2050 alle Emissionen mit Ausnahme der Landwirtschaft, für die ein Restbetrag von 37 Millionen Tonnen Kohlendioxid- Äquivalenten angegeben wird, auf Null gefahren werden. Wie tiefgreifend der Wandel ist, wird spätestens beim Blick auf die Umsetzung in verschiedenen Wirtschaftszweigen deutlich. Besonders stark betroffen ist naturgemäß die Energiewirtschaft. Hier sind umfangreiche Substitutionsprozesse unumgänglich. Es beginnt mit den Quellen von Primärenergie, den kohlenstoffhaltigen Stoffen Kohle, Erdgas und Erdöl. Weiter geht es mit den zur Anwendung für Heizung, Transport oder industrielle Prozesse kommenden Trägern der sogenannten Endenergie Benzin, Diesel oder Gas. Die Primärenergieträger Kohle, Erdöl und Erdgas müssen durch erneuerbare Energien (Wind, Sonne, Wasserkraft) ersetzt werden. Antriebe, Wärmeerzeugung oder chemische Prozesse können dann auch nicht mehr auf Gas, Diesel oder Benzin zurückgreifen. An ihre Stelle wird Strom treten. Sein Anteil an der Endenergie wird bis 2050 in Deutschland von gegenwärtig 20 Prozent auf etwa 80 Prozent steigen. Natürlich soll es sich dabei um grünen Strom handeln, der klimaneutral erzeugt wird. Der Umbau der Energiewirtschaft wird daher nicht nur Folgen für die Erzeugung von Primärenergie aus erneuerbaren Quellen haben. Auch die Netze zur Verteilung der massiv ansteigenden Mengen an Elektroenergie werden sich wesentlich von den heutigen unterscheiden.
Ihre Übertragungskapazität wird drastisch steigen. Sie werden intelligent und ermöglichen ein optimales Zusammenwirken von stark schwankender Energieerzeugung und ansteigendem Energieverbrauch.
Strom allein ist aber nicht für alle Prozesse als Energieträger geeignet. Da die konventionellen Endenergieträger künftig ausfallen, wird als Ergänzung von Strom sogenannter grüner Wasserstoff zum Einsatz kommen. Seine Produktion mit Hilfe von grünem Strom wird sicher nicht nur in Deutschland erfolgen. Vor allem sonnenreiche Länder auf der Südhalbkugel werden sich als Produzenten etablieren. Grüner Wasserstoff wird auch in der Chemieindustrie oder in der Stahlproduktion künftig eine zentrale Rolle spielen und dort Koks, Erdgas oder Erdöl nicht nur als Energieträger, sondern auch als chemischen Grundstoff ersetzen. Allein die Stahlproduktion, bei der Eisenoxid im Erz mit Kohle reduziert wird, erzeugt heute sieben Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Die Chemieindustrie steht vor der Herausforderung, mit grünem Wasserstoff und grünem Strom wesentliche Teile ihrer Grundstoffherstellung völlig neu auszurichten. Auch die energieintensive Herstellung von Baustoffen muss umdenken. Ein besonders extremes Beispiel ist die Herstellung von Zement, auf die weltweit acht Prozent aller Emissionen entfallen. Hier ist es nicht nur der Energieverbrauch, der CO2 freisetzt. Bei der Aufbereitung des Grundstoffes Calciumkarbonat (CaCO3) wird im Gestein gebundenes CO2 frei.
Ähnliches gilt auch für den Verkehr, wo grüner Strom und grüner Wasserstoff an die Stelle von traditionellen Kraftstoffen treten. Das gilt gleichermaßen für den Straßen- und Bahnverkehr. Im Bereich des Flugverkehrs und für den Altbestand an Kraftfahrzeugen mit Verbrennungsmotor werden in einer Übergangszeit synthetische Kraftstoffe zum Einsatz kommen, die hauptsächlich auch mit grünem Strom produziert werden. Ihr Nachteil ist der geringe Wirkungsgrad. So fährt ein E-Auto mit Batterie mit der gleichen Menge Strom mindestens fünfmal so weit wie ein Verbrenner mit strombasiertem Kraftstoff.
Auch wenn das Thema Energie auf den ersten Blick dominiert, erfordern doch alle diese Veränderungen massive Neuentwicklungen bei den verwendeten Technologien. Elektromotoren, Batterien oder Brennstoffzellen treten an die Stelle von Verbrennungsmotoren. Die Stahlproduktion mit grünem Wasserstoff erfolgt in sogenannte Direktreduktionsanlagen, die sich grundlegend von klassischen Hochöfen und Stahlkonvertern unterscheiden. Chemische Anlagen verändern grundlegend ihr Gesicht. Wir treten ein in die fünfte industrielle Revolution. Sie ermöglicht uns nicht nur die effektive Bekämpfung des Klimawandels, sondern schafft auch die Grundlagen für die Infrastruktur der Zukunft. Und für Länder wie Deutschland mit ausgeprägter industrieller Basis ergeben sich wirtschaftliche Möglichkeiten im Inland und vor allem im Export, wo die deutsche Industrie als Lieferant von Spitzentechnologien an die Erfolge der siebziger Jahre anschließen könnte.
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